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Recollectio - Edith Stein

Als Referentin unserer Recollectio vom 26.05 - 27.05 durften wir Frau Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz begrüßen. In drei intensiven Vorträgen brachte sie uns die biographische, philosophische und geistliche Gestalt von Edith Stein näher.

 

1. Bürgerin Jerusalems in Babylon – die Judenchristin Edith Stein

In ihrem ersten Vortrag zeichnete Prof. Dr. Gerl-Falkovitz die biographische Gestalt von Edith Stein nach. Hierbei vermittelte sie zunächst lebhaft die zeitgeschichtliche Atmosphäre im Kaiserreich Deutschland vor Ausbruch des 1. Weltkrieges und die Rolle des Judentums. Im aufblühenden Deutschland war das Judentum fest etabliert und entfaltete sich sowohl auf intellektueller, wissenschaftlicher als auch wirtschaftlicher Ebene und war eine bedeutsame Größe. Wie Edith Stein selbst sagt, war das Judentum zu dieser Zeit weder bei ihr noch in ihrem Umfeld religiös gelebt, sondern vielmehr eine kulturelle und ethnische Identität. Später wird sie von dem „radikalen Unglauben ihrer Jugend sprechen“. Insbesondere wirkte der sog. Kulturprotestantismus anziehend auf jüdische Kreise. Wie das Judentum, so war auch der Protestantismus nicht primär in seiner religiösen, sondern in seiner kulturellen Dimension bedeutsam. Die Begeisterung für Goethe, Herder, Bach u.a. ist hierfür ein Beispiel. Die Konversion zum Protestantismus war daher keine Seltenheit und galt als eine Art Eintrittskarte in das kulturelle Leben im Kaiserreich. Das Katholische hingegen galt in diesen Gesellschaftsströmungen als unkulturell und intellektuell bedenklich. Die Jüdin Edith Stein atmete diesen gesellschaftlichen Geist durch und durch ein. Sie war aufstrebend, hoch intellektuell, emanzipiert und im Religiösen wenig interessiert. Ihr Ziel war letztlich eine akademische Karriere, welche auch verheißungsvoll mit einem Studium der Philosophie in Göttingen begann. Als hochbegabte Studentin war sie bald Assistent von Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie. Neben Husserl stand sie auch mit Max Scheler in Kontakt. Gerl-Falkovitz bezeichnete diesen Lebensabschnitt als die „sehr helle Hälfte“ ihres Lebens. Bald schon mischte sich Dunkelheit in diese Helle. Der erste Weltkrieg brachte die europäische Urkatastrophe und mit ihr die große Erschütterung in das kulturelle Hochgefühl der deutschen Jugend.

Auch im persönlichen Bereich zeichnete sich bei Edith Stein eine schwere Zeit ab. Zunächst war da das Scheitern der angestrebten wissenschaftlichen Karriere. Husserl wusste in keiner Weise die Arbeit seiner Meisterschülerin zu schätzen. Das erhoffte Angebot zur Habilitation blieb aus und Stein wurde arbeitslos. Hinzu kam die Enttäuschung über das Nichtzustandekommen einer Beziehung mit dem von ihr geliebten Husserlschüler Romand Ingarden.

Edith Stein vollzog in diesen Jahren der tiefen Krise „eine Wende nach innen“. In aller Enttäuschung begann ein langer Weg des Suchens, der sie über viele Stationen schließlich zur Konversion in die katholische Kirche führte. (Nach dem Niedergang des Kaiserreiches und den Katastrophen hatte die katholische Kirche in den 20er Jahren eine erstaunliche Blütezeit erfahren: ein „katholischer Frühling“). Den Weg ihrer Konversion zeichnete Gerl-Falkovitz in ihrem zweiten Vortrag genauer nach. 

Es folgten die Taufe und der Eintritt in den Karmel, in dem ihr nur eine kurze ruhige Zeit vergönnt war. Mit der systematischen Judenverfolgung im Dritten Reich wurde auch Edith Steins Schicksal besiegelt. Am 9. August 1942 wurde sie wenige Stunden nach ihrer Ankunft in Auschwitz in den Gaskammern ermordet. Als Jüdin und Christin nahm sie den Tod in der bewussten Entscheidung darin das Kreuz Christi mitzutragen entgegen – für die Kirche, den Karmel, ihr „Vaterland Deutschland“, für ihr jüdisches Volk und ihre Bekannten, „auf dass keiner von ihnen verloren gehe“. Wie ihr klösterliches Leben, so stand in letzter Konsequenz ihr Tod ganz im Zeichen der Sühne und Stellvertretung.

 

2. Vom Unglauben über das Denken zum Glauben. Ist Phänomenologie eine Vorschule für das Christentum?

In ihrem zweiten Vortrag vermittelte Gerl-Falkovitz den inneren Weg der Hinkehr zum Christentum, den Edith Stein zunächst im Rahmen der Philosophie denkerisch beschritt. Durch ihren Lehrer Edmund Husserl lernte Edith Stein die phänomenologische Denkart kennen. Die Phänomenologie gilt im Allgemeinen als die Überschreitung (nicht Negierung) der kantischen Philosophie. Husserl begründete in seiner Schule den einfachen, wie zugleich genialen Ansatz, die Erkenntnisbestrebung einzig auf den Gegenstand zu richten, der sich dem Erkenntnissubjekt zeigt. Das, was sich unmittelbar zeigt, ist der Gegenstand der Phänomenologie. Husserl verlangte von seinen Schülern sich bei der Untersuchung allein von der Erscheinung des Gegenstandes her leiten zu lassen. Grundvoraussetzung dabei war das Absehen (Epoche) von Aspekten, die den Blick auf den Gegenstand von vornherein verstellen. Ein ganz offenes Auge (vgl. Scheler) muss gewonnen werden:

-Wenn das Subjekt das Wesen des Gegenstandes beschreibt, darf er nicht das Wort „Ich“ verwenden. (Ich glaube; mir scheint es; ich meine).

-Das Subjekt der Erkenntnis muss von dem absehen, was er in einem Vorwissen bereits über den Gegenstand weiß.

-Zufällige Merkmale des Gegenstandes dürfen nicht in die Beschreibung einfließen (Ist er Apfel grün oder rot?).

-So dann das Entscheidende: Die Existenzfrage ist auszuklammern.Existiert das was sich mir zeigt wirklich? Die Existenzfrage durfte nach Husserl für den Phänomenologen keine Rolle spielen. 

Letztlich brach Edith Stein wie andere Schüler Husserls auch mit eben dieser letzten Vorgabe. Die Frage nach der Existenz des Dinges konnte für sie nicht unbeantwortet bleiben. Mit Heidegger gesprochen wurde die Frage entscheidend: Wieviel Sein steckt im Schein? Im Blick auf die Gottesfrage wurde dies für Edith Stein von höchster Bedeutung. Ist im (religionsgeschichtlichen) Phänomen der Gottesrede bereits seine Existenz mit eingeschlossen?

Der Weg zum gläubigen Bekenntnis bei Edith Stein führt von der Phänomenologie zunächst noch über verschiedene Stationen der denkerischen Entwicklung. Von der Phänomenologie zur Ontologie (die Lehre vom Seienden) und darin insbesondere in die Frage nach der Existenz der Person. Was heißt Person sein? Person sein ist nicht isoliert, sondern die Person empfängt sich immer schon aus der „Resonanz des Anderen“, angefangen von der frühkindlichen Entwicklung bis hinein ins hohe Alter. Nie ist der Mensch sich einfach selbst gegeben. Sein ganzes Leben ist verdankt, nicht selbst in abgeschlossener Isolation. Dies zeigt sich gerade am Anfang und Ende des Lebens. Sie sind dem Menschen unverfügbar und letztlich kann er nicht einmal denkerisch klären, woher er kommt und wohin er geht. In dieser Reflexion stellte sich für Edith Stein die Frage nach dem Ursprung einer so geformten Lebendigkeit im Menschen: Wenn ich mich in dieser Lebendigkeit und Verdanktheit erfahre, stets auf den Anderen hingeordnet, muss dann der Urheber dieses Lebens nicht noch viel wesentlicher Person – Leben - Urheber sein?

In ihrer denkerischen Annäherung an Gott erkennt ihn Edith Stein nicht als metaphysische Ursache oder apersonalen Urgrund, sondern als den der von sich sagt „ICH BIN“. Gott als letzte Personalität, höchste Lebendigkeit und tiefste Beziehungswirklichkeit

 

3. „Im Dunkel wohl geborgen“ Edith Steins Nähe zur Mystik

Einen nochmal anderen Aspekt des inneren Weges von Edith Stein brachte der dritte Vortrag zu Tage. In ihm suchte Gerl-Falkovitz das geistliche Profil Edith Stein nachzuzeichen. Was Edith Stein in ihrem Werk „Kreuzeswissenschaft“ über die Mystik des Johannes vom Kreuz und im weiteren Kontext über Dionysius Areopagita entfaltete, darf in gewisser Weise auf ihren persönlichen Weg übertragen werden. (In allem ist festzuhalten, dass die Gedanken zum geistlich-mystischen Weg keine Gesetzmäßigkeiten aufzeigen wollen. Die individuelle Gottesbeziehung lässt sich nicht einfach in Gesetze überführen, sondern ist je neu einzigartige Lebenswirklichkeit.)

Für Johannes steht am Anfang des geistlichen Weges die sinnliche Berührung mit der Gegenwart Gottes. Es geht um wirkliche Empfindung von „Wärme, Nähe, Empfänglichkeit“, die von Gott her wahrgenommen wird: „Der Geschmack an Gott“. Gott wird in seiner Fülle und Schönheit lebendig erfahren.

Der geistliche Weg nun führt in einem dreifachen Abstiegin eine neue Wirklichkeit der Gottesbeziehung. Es ist mit johannes gesprochen, zunächst der Weg in die Dunkelheit: „In einer dunklen Nacht verließ ich mein Haus“. So der programmatische Beginn seines Werkes. Der Glaubende wird aus dem Eingerichtetsein seines Glaubenshauses hinausgeführt in die Nacht der Sinne. Der Geschmack an Gott verblasst, die Lebendigkeit verfliegt und der Glaube kann letztlich nur in Treue ausgehalten werden. Edith Stein spricht von dem „bürokratischen Glauben“. Ein Aushalten und Ausharren...

Noch weiter ins Dunkel führt die Nacht des Geistes. Der Glaube ist nun letzter Kraft beraubt. Wenn ich von Gott spreche – so beschreibt es Edith Stein -  ist es „als dresche ich Stroh“. Die Wege, auf denen sich der Glaube bisher vollzogen hat, hören auf Weg zu sein, die innere Bewegung des Glaubens versandet. 

Als letzten Abstieg und nur mehr als äußerste Grenze kennt Johannes die Nacht des Glaubens. In ihr kann der Glaubende nicht lang verharren. Bis in die tiefste Beziehungslosigkeit (sine relatione) hinein wird der Mensch geführt. Gott erscheint als reine Negation, so groß, dass der Glaubende jeder Beziehung zu ihm beraubt wird. „Das natürliche Licht wird vom überhellen Licht gebrochen und genichtet, zur Dunkelheit gebracht“.  Der Glaubende hat letzte Kontrolle über seinen Glauben verloren und steht am absolut toten Punkt. Nur von Gott her kann noch Aktion und Bewegung erfolgen. Und so steht am Ende der Nacht, am tiefsten Punkt, Gott und schenkt neue Begegnung an jenem Ort, an den er den Glaubenden geführt hat. Dort wo er letzter Eigeninitiative beraubt ist, ja selbst sein Ich im Glauben nicht mehr sprechen kann, beginnt von Gott her neues Leben. Dabei wird Dunkelheit nicht einfach wieder hell, doch wie Edith Stein sagt: „Ich muss nicht mehr viel sehen, denn im Dunkel bin ich wohl geborgen“.Tiefste Geborgenheit in Gott, die nur der zu erwägen weiß, der von Gott den Weg des Abstieges geführt wurde. 

Als Edith Stein am 2. August 1942 von der Gestapo abgeholt wird, findet die Oberin auf ihrem Schreibtisch das offene Buch „Kreuzeswissenschaft“. Als letzte Worte stehen dort „ ... die endlich heitere Nacht!“. In diesem Geist der Geborgenheit ging sie in der Dunkelheit von Auschwitz in den Tod. 

 

Herzlich danken wir Frau Prof. Dr. Gerl-Falkovitz für ihre beeindruckende Hinführung zu Edith Stein. 

Heilige Edith Stein – Patronin Europas. Bitte für uns!

28.05.2018